Die Migräne ist keine seltene Erkrankung, wie
oft angenommen wird. Ihre Häufigkeit wird auf 5-20% der Gesamtbevölkerung
geschätzt. Manches spricht dafür,
dass die Migräne in letzter Zeit häufiger
auftritt, was sich unter anderem aus den ungünstigen Veränderungen unserer
psychosozialen Lebensbedingungen und Ernährungsfehlern erklären ließe.
Von den Frauen im gebärfähigen Alter leidet
fast jede 5. unter Migräne. In den Wechseljahren lässt sie oft nach oder
verschwindet völlig. Trotzdem trifft das Vorurteil, dass Migräne eine typische
Frauenkrankheit sei nicht zu, denn der Anteil der Männer wird auf immerhin
30-40% geschätzt.
Fast ein Viertel der Patienten erlebt den 1.
Migräneanfall noch im Kindesalter, bei den übrigen tritt er meist erstmals
zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf. Im allgemeinen kann man davon ausgehen,
dass spätestens ab dem 45. Lebensjahr niemand mehr neu an Migräne erkrankt
(es gibt aber Ausnahmen). Wer also bis dahin noch keinen Migräneanfall
erlitten hat, wird voraussichtlich nie mehr an Migräne erkranken.
Nicht alle, die sich mit der Migräne plagen,
leiden sehr stark unter der Erkrankung oder haben häufig Anfälle. Doch für
diejenigen, die schon seit der Kindheit bei jeder Aufregung, jedem Witterungswechsel
oder einem anderen auslösenden Faktor einen heftigen Schmerzanfall erleben,
wird das Leben bald zur Hölle. Die Krankheit verändert im Lauf der Zeit die
Persönlichkeit, die gesamte Lebensplanung gerät durcheinander, und die
verordneten starken Schmerzmittel können auch noch
zur Medikamentenabhängigkeit und erheblichen
anderen Nebenwirkungen führen. Da tröstet es die Betroffenen wenig, wenn sie
wissen, dass die Schmerzanfälle mit zunehmendem Alter meist seltener und
schwächer werden, vielleicht sogar ganz verschwinden. Hier hilft am besten die
biologisch orientierte Ganzheitsmedizin.
Die Ursachen der Migräne sind noch nicht genau
bekannt. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich die Krankheit nicht auf eine
einzige Ursache zurückführen lässt. Stets müssen mehrere körperliche und
seelische Faktoren Zusammenwirken, um die Erkrankung zu verursachen. Die
wichtigsten, die heute diskutiert werden, wollen wir jetzt vorstellen - immer
unter dem Vorbehalt, dass es sich dabei um theoretische, nicht ausreichend
belegte Überlegungen handelt.
Die Migräne tritt familiär gehäuft auf. Bei
rund zwei Drittel aller Patienten leidet mindestens ein Elternteil ebenfalls
unter Migräne.
Die Großeltern sind fast bei jedem 10. davon
betroffen, und auch die Geschwister (12%) klagen über häufige Kopfschmerzen
oder Migräne. Das legt den Verdacht nahe, dass die Erkrankung selbst oder zumindest
die Veranlagung dazu vererbt wird.
Einen zuverlässigen und wissenschaftlich
einwandfrei gesicherten Beweis für diese Annahme gibt es bisher freilich nicht.
Die familiäre Häufung muss nämlich nicht unbedingt auf Vererbung zurückzuführen
sein. Vielmehr kann es auch so sein, dass ein Kind am Vorbild der Eltern oder
anderer wichtiger Bezugspersonen gelernt hat, in bestimmten Situationen mit
einem Migräneanfall zu reagieren. Dieses Verhalten wird im Erwachsenenalter
beibehalten, weil der Lernvor- gang nicht mehr bewusst ist und das Gelernte
auch nicht willentlich unterdrückt werden kann. Erhärtet wird die Lerntheorie
durch die Diskussion um die Frage, ob es eine bestimmte, ebenfalls durch
Vorbild und Erziehung geprägte »Migräne-Persönlichkeit« gibt. Verschiedene
Untersuchungen geben an, dass bis zu zwei Drittel aller Migränekranken bestimmte
Eigenschaften aufweisen. So sollen sie vor allem überdurchschnittlich fleißig,
ehrgeizig, gewissenhaft und ordnungsliebend, sehr konservativ, starr,
intolerant, überempfindlich und leicht kränk- bar sein. Ob diese und andere Persönlichkeitsmerkmale
eine Migräne verursachen, steht nicht genau fest. Man darf auch nicht vergessen,
dass sich einige der diskutierten Eigenschaften vielleicht erst im Lauf der
Zeit durch die Belastungen der Migräne herausbilden, also ihre Folge, nicht
ihre Ursache sein könnten. Und man darf nicht übersehen, dass Wissenschaftler
Forschungsergebnisse abhängig von ihrer Ausbildung teilweise
sehr unterschiedlich interpretieren. Zusammenfassend bleibt also nur
festzustellen, dass die Migräne veranlagt sein kann. Die Vererbungstheorie
ist aber ebenso wenig wie die Lerntheorie und andere, psychologisch
orientierte Vorstellungen schon endgültig beweisbar. Aber selbst wenn
Erbanlagen beteiligt sind bedeutet das nicht, dass jeder an Migräne erkranken muss,
in dessen Familie sie gehäuft vorkommt. Deshalb ist es auch nicht zu
rechtfertigen, wenn man bei familiärer Vorbelastung zum Beispiel davor warnt,
Kinder zur Welt zu bringen. Dadurch werden die Patienten unnötig verunsichert
und in eine Außenseiterrolle gedrängt, die sie stark belastet und ihre Migräne
verschlimmern kann.
Wahrscheinlich ist bei der Migräne die
Regulation der Blutgefäße im Kopf gestört. Daraus resultieren
Durchblutungsstörungen, die bei einem typischen Migräneanfall vermutlich wie
folgt ablaufen:
- Zunächst verengen
sich die Gefäße. Dadurch wird die Durchblutung vermindert. Dies führt zur
typischen Einschränkung des Gesichtsfelds, Überempfindlichkeit für
Sinnesreize, Übelkeit, Gereiztheit und anderen Symptomen des Vorstadiums.
Noch ist der Betroffene schmerzfrei.
- Danach erweitern
sich die Gefäße wieder, und es kommt zum
Blutdrang mit wellenartig an- und
abschwellenden, pochenden oder hämmernden starken Schmerzen. Der Blutdrang ist
so stark, dass die Schläfenarterien äußerlich sichtbar anschwellen können.
- Schließlich
erschlaffen die Gefäße, und es tritt Flüssigkeit durch ihre Wände in die Umgebung
aus, die zu Schwellungen führt; der pulsierende Schmerz geht nun in dumpfen,
schier unerträglichen Dauerkopfschmerz über, der stunden- bis tagelang
anhalten kann.
Wodurch diese Störungen der Gefäßregulation
zustande kommen, steht noch nicht sicher fest. Es scheint, dass eine Störung im
Hypothalamus im Zwischenhirn von zentraler Bedeutung sein könnte. Im
Hypothalamus befinden sich mehrere Zentren, die dem vegetativen Nervensystem
übergeordnet sind. Sie steuern verschiedene Körperfunktionen, unter anderem
Blutdruck, Körpertemperatur, Schweißsekretion, Atmung, Fett-, Wasserhaushalt,
Sexualfunktionen und Schlaf-Wach-Rhythmus. Dazu bildet der Hypothalamus
verschiedene hormonartige Stoffe, die andere Hormondrüsen beeinflussen. Ob es
sich um eine bloße Funktionsstörung des Hypothalamus handelt oder ob eine
regelrechte Krankheit dieses Hirnareals vorliegt, kann bisher nicht sicher
beantwortet werden.
Nicht endgültig geklärt ist auch, welche Rolle
Hormone bei der Entstehung der Migräne spielen. Dies könnte
zum Beispiel erklären, weshalb Frauen häufiger unter Migräne leiden. Es
scheint vor allem, dass Funktionsstörungen der weiblichen Eierstöcke als
Ursache in Frage kommen. Denkbar wäre auch, dass bei
beiden Geschlechtern ein Zusammenhang mit einer Unterfunktion der
Nebenschilddrüsen besteht. Das sollte immer individuell abgeklärt und gezielt
behandelt werden. Einschränkend ist aber anzumerken, dass man keineswegs bei
allen Migränekranken hormonelle Störungen nachweisen kann. Zunehmendes
Interesse als mögliche Ursache der Migräne finden heute die allergischen
Krankheiten. Wenn ihnen tatsächlich so viel Bedeutung zukommt wie manche
Fachleute annehmen, dann ließe sich aus der steigenden Zahl allergischer
Reaktionen erklären, weshalb die Migräne auf dem Vormarsch zu sein scheint.
Da Allergien mit Veränderungen der Durchblutung einhergehen, kann man sie
teilweise mit den eingangs beschriebenen Durchblutungsstörungen vereinbaren.
In erster Linie scheinen Nahrungs- und Genussmittel, zum Beispiel Schweinefleisch,
Schokolade und Alkohol, bei Migräne als Allergene in Betracht zu kommen.
Typische Allergiesymptome müssen dabei nicht auftreten. Die Allergie kann sich
allein durch den Migräneanfall bemerkbar machen. Von der weiteren
Erforschung dieser Zusammenhänge darf man in Zukunft
sicher wichtige Erkenntnisse und neue
Therapieansätze bei Migräne erwarten.
Es gibt noch eine Reihe weiterer körperlicher
Erkrankungen, die als Ursache für eine Migräne zu nennen sind. Dazu zählen zum
Beispiel Veränderungen an der Halswirbelsäule. Die dadurch hervorgerufene
Migräne bezeichnet man als Migraine cervicale. Allerdings können auch hier
seelische Faktoren hinzukommen, zum Beispiel eine starre, uneinsichtige Haltung,
die man umgangssprachlich treffend als Halsstarrigkeit bezeichnet. Sie erzeugt
Verspannungen der Nackenmuskulatur, die im Laufe der Zeit die Halswirbelsäule
schädigen können.
Die Erkrankung verursacht anfallsweise
halbseitige Kopfschmerzen sowie Schwindel, Seh- und Hörstörungen. In der Regel
sind diese Beschwerden von den Bewegungen des Kopfes abhängig. Wer einen
derartigen Zusammenhang bemerkt, soll unbedingt den Therapeuten davon
unterrichten, damit er gezielt untersuchen und behandeln kann.
Im Grunde lassen sich die Symptome der
Migraine cervicale stets auf Reizungen der Nerven und Arterien im Bereich der
Halswirbelsäule zurückführen. Dabei unterscheidet man die folgenden beiden
Ursachen:
- Beschwerden durch
vorzeitige Abnutzung (Arthrose) der kleinen Halswirbelsäulengelenke und
Verschleiß der Bandscheiben zwischen den Halswirbeln;
unter anderem kann es dazu durch dauernde
Fehlbelastungen kommen.
- Beschwerden durch
Unfälle, bei denen die Halswirbelsäule verletzt wurde.
Die genaue Diagnose der Migraine cervicale
erfordert meist Röntgenuntersuchungen, bei denen man die Schädigung genau
erkennt. Bei Arthrosen sieht man im Röntgenbild, dass die Wirbellöcher, aus denen
die Nerven austreten, eingeengt sind. Die Therapie richtet sich nach dem
Befund. Manchmal hilft nur eine Operation.
Man könnte noch andere körperliche
Erkrankungen und Veränderungen als Ursache der Migräne aufführen, doch sind
auch hier die Zusammenhänge zu wenig erforscht, so dass wir es bei den bereits
genannten Ursachen belassen wollen.